Beyond Ontology – Zwischen Wissensrepräsentation und Interoperabilität

Symbolbild zum Artikel. Der Link öffnet das Bild in einer großen Anzeige.

Status Quo: Insellösungen und kleinstteilige Datenmodellierung

Mit einem fortgeschrittenen Stadium der Digitalisierungskampagnen von Kulturgut stellt sich zunehmend die Frage nach einem Vernetzen der heterogenen Datenbestände miteinander. Während vor allem in den Digital Humanities aus universitärer Forschungsperspektive die Annahme der Open World Datenmodellierung, also Linked Open Data und FAIR-Principles (Findable – Accessible – Interoperable – Reusable), gelebt und gefordert wird, werden in deutschsprachigen Institutionen immer noch Insellösungen, sogenannte Close World Annahmen, mit abgeschotteten Datenbankumgebungen bevorzugt. Es stehen sich also zwei Konzepte der Datendistribution diametral gegenüber.

Gerade der Aspekt der Interoperabilität von Kulturdaten droht zum unerreichbaren Ideal zu werden, so dass Spezialist*innen der Digitalisierungspraxis an GLAM-Institutionen (Galleries, Libraries, Archives, Museum) deutliche Skepsis gegenüber einer Big Data Idee für das Kulturgut zeigen. Gerade das aus der Informatik gegebene Versprechen, heterogene Datenbestände seien durch eine strukturierte und semantische Ausweisung des Wissens über die Objekte miteinander verknüpfbar, wurde bislang nicht überzeugend eingelöst. Während in den GLAM-Institutionen und bei zeitlich beschränkten Forschungsprojekten eine höchst kleinteilige Wissensmodellierung vorgenommen wird, um den geisteswissenschaftlichen Forschungsstand computerlesbar auszuzeichnen, enttäuschen Meta-Datenbanken wie die Europeana durch einen eher reduzierten Informationsgehalt und keine Verknüpfung der aus den einspeisenden Institutionen bereitgestellten Daten untereinander. Ausgehend von dieser Beobachtung fehlt aktuell eine Analyse und damit eine mögliche Lösung der heterogenen Gemengelage. Es drängt sich die Frage auf, ob hochkomplexe Beziehungsgeflechte überhaupt in strukturierten Datenmodellen und in großer Menge nachgebildet werden können.

Forschungsfrage

Sind geisteswissenschaftliche Konzepte wie Rezeption, Kulturtransfer und kulturelle Aneignung in den gängigen Ontologien der Digital Humanities ohne Verlust einer Interoperabilität in der Praxis modellierbar? Verhindert die gerade in den Forschungsdaten zur Beschreibung des Wissens über kulturhistorische Objekte vorhandene Polysemie generell die Möglichkeit der Austauschbarkeit und Vernetzungsfähigkeit? Im Fokus der Untersuchung steht die Frage nach der eindeutigen Auszeichnung von Transferprozessen zwischen kulturhistorischen Objekten:

  • sind intermediale Rezeptionsphänomene in den aktuellen Bild- und Sammlungsdatenbanken mitgedacht?
  • wie wird über Polysemie nachgedacht und modelliert?
  • werden Beziehungen zwischen unterschiedlichen Werken mitgedacht?
  • welche Mentalitätskonzepte stehen hinter den gebildeten Strukturen?
  • wie wird mit hermeneutischer Unschärfe und kulturhistorischer Hypothesenbildung umgegangen?

Erforscht werden sollen dabei die Gründe für die in der Praxis mangelnde Interoperabilität unterschiedlicher Datenmanagement- und Datenmodellierungskonzepte sowie die aufkommende Kritik im Sinne eines Neo-Strukturalismus an diesem Vorgehen und der Gefahr einer Überkonzeptualisierung. Während beispielsweise gerade bei den Kooperationspartnern der FAU Erlangen-Nürnberg das Konzept CIDOC Conceptual Reference Model (ISO 21127) Verwendung findet, bauen die Institutionen an anderen Orten auf Ontologiekonzepte und Auszeichnungssprachen zur Objektbeschreibung – wie LIDO (Lightweight Information Describing Objects), CDWA (Categories for the Description of Works of Art, Getty vocabularies). Gerade im Bereich der Forschungsprojekte zeigt sich häufig eine Zwischenform zwischen Normdatensätzen, standardisierten Vokabularen und individuell gebauten Ontologien. Zunächst orientieren sie sich mit dem Ziel der Austauschbarkeit und Verknüpfbarkeit von textuellen Daten als Beschreibung des Wissens über Objekte möglichst an Standards. In der Praxis zeigt sich dann aber eine projektbezogene Ausdifferenzierung und individuelle Anpassung der Ontologie an die jeweiligen Forschungsergebnisse. Man orientiert sich also an Standards, aber zu Gunsten einer präziseren semantischen Auszeichnung weicht man von einer möglichst vollständigen Darlegung des teilweise sogar hypothetischen Informationsstands ab.

Gleichwohl gerade versucht wird, die unterschiedlichen Ontologien miteinander zu mappen, sprich in Konkordanzsystemen miteinander austauschbar zu machen, wird kaum über die jeweiligen Wissenskonzepte hinter den Begriffen und Eingabefeldern gesprochen.

In dem Forschungsvorhaben soll untersucht werden, wie Konzepte der Rezeption in den Ontologien, den unterschiedlichen Auszeichnungssprachen und vor allem in der Praxis modelliert werden und ob überhaupt bei der systematischen Erfassung der Objekte geisteswissenschaftliche Theorien wie Kulturtransfer und kulturelle Aneignung mitgedacht werden können.

Als interdisziplinäres Forschungsprojekt zwischen kunsthistorischem Objektwissen und der Analysefähigkeit der Digital Humanities (sowohl in der Datenmodellierung als auch in der Interoperabilität) können in einer praxikologischen Perspektive geisteswissenschaftliche Konzepte von kulturellem Transfer und heterogensten Rezeptionsphänomenen mit operationalisierbaren Systemen der Datenhaltung zusammengebracht werden. Ziel soll dabei im Hinblick auf der Suche nach neuen Strategien für die Forschungsdaten (NFDI4Culture) auch die Entwicklung einer möglichen Praxis für das internationale Projekt European Time Machine sein. Ausgehende von einer hypothetischen Metadatenbank (Big Cultural Data) steht dabei sowohl die Verknüpfung und Bereitstellung des europäischen kulturellen Erbes für Wissenschaft und Öffentlichkeit als auch die Sorge um einseitige Konnotationen der Wissensrepräsentation im Zentrum der Untersuchung.

 

Das Forschungsprojekt baut auf der Dissertation der Antragstellerin auf und bietet Anknüpfungspunkte sowohl an die Nürnberg Time Machine als auch an die Forschungsschwerpunkte zum Kulturtransfer des Instituts für Kunstgeschichte.

Gefördert durch

Laufzeit: 01.07.2020–30.06.2021, verlängert bis 30.09.2021

 

Jacqueline Klusik-Eckert, M.A.

Philosophische Fakultät und Fachbereich Theologie (Phil)
Department of Digital Humanities and Social Studies (DHSS)

Mitarbeiterinnen

  • Hannah Thiel